Gedanken auf meinem Weg in die Malerei



Mein Ziel ist es, die Kunst als etwas Zeitloses zu begreifen, ganz gleich, ob es sich um Werke der Antike, des Barock oder einer anderen Epoche handelt, aber als etwas Zeitbezogenes, wenn es um neu Entstehendes geht. Die Sprache der Kunst gehört ihrer Zeit.

Meine Malerei ist eine von spannungsvoller Neugier getriebene, oft spontan ablaufende Verknüpfung gegenständ-licher und abstrakter Bildelemente. Freundschaftliche Beziehungen zu Hans und Lea Grundig, zum Kunstwissenschaftler Kai Brockdorf und Atelierbesuche bei Josef Hegenbarth in den ersten Nachkriegsjahren schärften meinen Blick für den faszinierenden Prozess der Bildentstehung. Konzentration, Emotion und auch Zufälliges zeigten sich damit verbunden. Das Farbenspiel eines Manet regte mich ebenso an, wie die Malerei und die Beobachtungen van Goghs zu Licht und Schatten, wie er sie in seinen Briefen an den Bruder Theo mitteilte.

Begonnen habe ich mit der Malerei in den 50-er Jahren. Im Café skizzierte ich meine Gegenüber auf die Zigarettenschachtel. Dem folgten die Teilnahme am Abendakt der Hochschule für Bildende Künste Dresden und die ersten Malversuche. Selbst während meiner wissenschaftlichen Karriere hat mich diese, meiner Seele zutiefst innewohnende Leidenschaft für die Malerei niemals losgelassen.

Versuch und Irrtum sind aber auch hier der Weg, wie in der Forschung. War das eine Bild nahezu vollständig im Kopf vorbereitet, so war ein anderes das nicht vorhersehbare Ergebnis einer Folge des Setzens von Linien, Flächen und Farben. Ich suchte wiederholt neue Wege zu gehen, die Konsequenz der Bilder einer auf uns täglich einwirkenden Medienwelt. Folgt man Kandinsky, so beginnt die Kunst erst dort, wo der Gegenstand, analog der Musik, zum Beispiel eines Arnold Schönberg, keine Rolle mehr spielt. Er verwendet dafür den Begriff konkrete Kunst, den 1924 Theo van Doesburg einführte, und den auch Jean Arp und Max Bill übernahmen. Entscheidendes dazu leistete auch das BAU-HAUS, mit dessen Geist ich, auch rückblickend auf meine aktive Mitwirkung im redaktionellen Beirat der Fachzeitschrift FORM + ZWECK, eng verbunden bin.

Meine, von Kindheit an, bestehende Hinwendung zur klassischen und auch modernen Musik und eigenes aktives Musizieren auf der Geige haben bewirkt, dass es zunehmend musikalische Werke und Themen sind, die den Hintergrund der Farbassoziationen meiner Malerei bilden, als ein subjektiv, betont emotionaler und vom glücklichen Moment des Augenblicks bestimmter Vorgang.

In den anfangs am Gegenstand orientierten Bildern lässt sich die expressive Ausdruckssteigerung erkennen, die mit dem Malen nach Musik zunehmende Verselbständigung von Farben und Formen zeigen, wie beispielsweise „Musette“ – in Analogie zum tanzenden Paar von Auguste Renoir – oder „Die Improvisation am Cello“, die sich auf wenige wesentliche Ausdrucksmittel beschränken, bis hin zu den abstrakten Werken, die geprägt sind von einer freien bildkünstlerischen Ausdrucksform in Analogie zur Musik. Mussorgski komponierte „Bilder einer Ausstellung“ und setzte damit Bildwerke in konzertante Musik um. Vincent van Gogh und Paul Gauguin sprachen von „Farbenmusik“, Kandinsky von „Innerem Klang“ oder von „Akkorden und Harmonien“, Emil Nolde schrieb von „Tönen wie Farben“ oder „Farben wie Musik“.

In der Tat ist die Verfremdung, das „Sichhineinsehen“ und der spielerische Umgang mit Dingen – Picasso war hier Meister – an die Stelle der naturalistischen Darstellung von Mensch, Landschaft und Gegenstand getreten. Das erinnert mich immer wieder an die Worte von Anton Ažbe (1859–1905) zu seinem Schüler Kandinsky: „Sie müssen die Anatomie kennen, doch vor der Staffelei müssen Sie sie vergessen“. Meine Arbeiten orientieren sich an der Genussfreude unserer Augen und mögen dem Betrachter aus ihren Farbklängen heraus Lebendigkeit vermitteln, vielleicht auch Neugier zum Gegenstand hervorrufen.

So verstehe ich heute, dass das Wesentliche des Impressionismus, dessen Faszination am Beginn meines Weges stand, nicht die neue Art zu sehen und zu malen war, sondern der Beginn eines Aufbruchs, der die Auffassung von der Malerei von Grund auf verändert hat.

Die Kunst sollte sich vom Gegenständlichen befreien. Wassily Kandinsky, einer der Begründer der abstrakten Malerei, mahnte, nicht die bloße Darstellung des Gegenstandes zum Mittelpunkt der bildnerischen Auseinandersetzung zu machen, sondern den Inhalt, der sich mit dem Gegenstand verbindet. Dies gilt für alle Kunstepochen und wird auch sichtbar, wie der gleiche Gegenstand seine zeitgemäße Darstellung findet oder aus dem Bildganzen zurückgenommen wird.

Lasst die Farbmelodien meiner Bilder auf euch wirken, erfreut euch an der Unendlichkeit der Farben- und Formenwelt, die den Gesetzen der Gestaltung folgen. Die abstrakte Malerei ist ein Bekenntnis zu unserer Zeit und ein Schlüssel zum Verständnis unseres Daseins.

Dankbar bin ich allen, die mir auf diesem Weg geholfen haben und noch heute mit Rat und Tat zur Seite stehen, wie Gerda Lepke, Wolff-Ulrich Weder, Karl-Heinz Adler oder auch einst Friedrich Kracht.

Ein ganz besonderer Dank gilt hier aber auch meiner Familie, im Besonderen meiner lieben Frau und künstlerischen Partnerin, Gerlinde Queißer, die mich auf diesem Wege von Beginn an kompetent begleitet und bestärkt und alle bisherigen und die so hoffentlich noch folgenden umfangreichen Ausstellungen von 1999 an – mit Beginn im Friedrichschlösschen und der Oberen Orangerie des Barockgartens Großsedlitz – kuratiert.



Max Manfred Queißer